Der österreichische Theologe und katholische Priester Paul Michael Zulehner zog die 70 Zuhörer im Vortragssaal des Gymnasiums Untergriesbach an die zwei Stunden lang in seinen Bann. Dass der emeritierte Universitätsprofessor zu den bekanntesten Religionssoziologen Europas gehört, das hat er mit seinem fulminanten Vortrag eindrucksvoll belegt. Zulehner hat Profundes zu Kirche und Gesellschaft zu sagen, und er wird in Politik und Gesellschaft gehört. Den Gästen wird dieser Abend lange in Erinnerung bleiben, denn der Referent versteht es meisterhaft, zuzuspitzen und komplexe Zusammenhänge in eingängige Worte zu kleiden.

Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die dramatische Entwicklung unserer Gesellschaften hin zum Autoritarismus. Zulehner hatte ganz frische Statistikdaten aus Österreich dabei. Und die sind alarmierend: bei jungen Menschen (bis zum Alter von 29 Jahren) steigt der Hang zum Autoritarismus in den letzten 20 Jahren bedenklich stark an.

Zulehner benannte wichtige Ursachen der neuen Freiheitsflucht auf persönlicher Ebene:

Die Welt wird unübersichtlich, die unbezogene, privatisierte Freiheit wird immer riskanter und die familial geschaffene Daseinskompetenz sinkt. Wollte man in den 1968ern die Freiheit vor repressiven Fremdbestimmungen sichern, muss man sie heute vor depressiver Vereinsamung schützen.

Und die Christen? Die evangelische Kirche nennt sich eine „Kirche der Freiheit“. Diesen Begriff zu wählen ist der katholischen Kirche am Beginn der modernen Freiheitsgeschichte nicht leicht gefallen. Die von der liberalen Bewegung formulierten Freiheiten wurden von Papst Pius IX. verworfen. Erst mit dem Zweiten Vatikanum (1962–1965) wurden die modernen Freiheitsrechte von der Kirche gutgeheißen. Blickt man auf die Mitglieder der christlichen Kirchen, dann zeigen diese sich als stark polarisiert. Christen haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg für ein freiheitliches Europa eingesetzt. Inzwischen aber finden wir Politiker, die sich auf das Christentum berufen und für eine „illiberale Demokratie“ eintreten. Und auch in der Bevölkerung nimmt die Zahl jener, gerade auch jungen Personen zu, welche die lästige Last der Freiheit wieder loswerden wollen.

Für Zulehner steht fest: Auftrag der christlichen Kirchen muss sein, Anwältinnen der Freiheit und der Demokratie zu sein. Und er strahlte bei seinem Vortrag durchaus Optimismus aus. Ein grandioser Abend – und ein Plädoyer, das an möglichst viele Ohren dringen sollte.

Die Folien der Untergriesbacher Präsentation finden Sie auf unserer Homepage unter „Medien“. Einen Audiomitschnitt des gestrigen Vortrags sowie weitere Vorträge von Paul M. Zulehner kann man auf seiner Homepage www.zulehner.org entdecken.

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